kurz & bündig
Mit einem Werkbeitrag hat mir der Fachausschuss Literatur der Kantone BSBL ermöglicht den dramatischen Text 'Mord_4057' zu schreiben.
Ausgegangen bin ich von meiner eigenen Betroffenheit, als ich erfuhr, dass der mir recht gut bekannte Georg C. erstochen worden sei. Er logierte seit Jahren unter der Dreirosenbrücke im Kleinbasel, ein Nachbar. Wir hatten uns am Abend seiner Schicksalsnacht noch unterhalten.
Die Richtschur meiner Arbeit war aufgespannt zwischen der Verdichtung der realen Situation und der Frage wie sich Georg der Tote wohl zum Ganzen äussern würde. Die Antwort auf diese Frage suche ich darin, dass er sich an Vorstellungen über ihn und weit hergeholten Zuschreibungen abarbeitet. Schliesslich übt der Tote Rache und sucht Ordnung, bis er als Widergänger mit seinem Mörder zusammentrifft.
Mit dem der szenischen Lesung des Theaterstückes 'Mord_4057' kommen wir an den Ort des Geschehens zurück.
Hintergrund
Der dramatische Text 'Mord_4057' entspringt der Begebenheit vom vom 21. Dezember 2018. Kurz nach 01.00 ersticht Vinicius de Oliveira Rodrigues den Obdachlosen Georg Conzett. Dieser logierte seit gut zwölf Jahren draussen unter der Dreirosenbrücke im Kleinbasler Matthäusquartier.
Dem Tötungsdelikt war ein Disput zwischen den Beiden über Gott vorausgegangen. Georg Conzett liess sich um keinen Preis bekehren. Im Gegenteil er wies diesen mit aller Macht daherkommenden Gott, für den sich Vinicius gehalten hat, weit von sich. In der Folge sieht sich Vinicius gezwungen den Ungläubigen zu richten, indem er ihn ersticht.
Im Quartier greifen Gerüchte über die Täterschaft wild um sich. Pauschal werden Migranten aus der Ecke im Dreirosenpark verdächtigt, wo Drogen die Besitzer tauschen. Ein Sondereinsatzkommando der Basler Polizei nimmt schon 48 Stunden den dringend Tatverdächtigen fest.
Ein Jahr später steht am 13. November 2017 Vinicius de Oliveira Rodrigues vor Gericht, angeklagt des Mordes. Als solchen qualifiziert das Gericht die Tat. Allerdings wird der Angeklagte freigesprochen. Er ist nicht schuldfähig, da ihm eine paranoide Schizophrenie attestiert wird, die sich in seinen christlich religiös untermauerten Gewaltfantasien äussert. Dem Täter wird eine stationäre Massnahme in der psychiatrischen Klinik der Universität Basel verfügt.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit bin ich, der Autor dieses dramatischen Textes der Letzte, der Georg Conzett vor seinem Tod die Hand zum Abschied gegeben hat. Immer wieder hatten wir uns unterhalten, über seine Reisen, die Situation hier draussen. An diesem Abend sprachen wir über die Zukunft, was er mache wenn er die AHV-Rente bekommt. Zum Abschied fragte ich ihn, ob ich ihn fotografieren dürfe, er lachte und meinte da sei immer ein Buglicker drauf. Ich dachte ein anders Mal.
Zudem rührt mich, wie ich im Laufe der Recherche in Erfahrung bringen konnte, dass die Geschwister von Georg die Asche ihres verloren geglaubten Bruder nach der Kremation entgegen genommen haben. Sie verstreuten diese dann während einer einfachen Andacht von der Uelifähre aus in den Rhein.
Die Struktur & Inhalt
Unter der Brücke des Autobahnzubringers stossen zwei Menschen aufeinander.
Hauptfiguren
Toter | Toter sein Schatten | Mörder | Mörder sein Ich
Nebenfiguren Die Touchierten
Ein Richter | Quartiereltern Er | Quartiereltern Sie | Vagantin Kommunist | Ein Quartierhengst | Ein Drogenhändler | Journalist Ausländer | Ansager | Das Kind
 
Akt I. Der Sumpf
01 Vorstellung
Ein Ansager begrüsst die Anwesenden und verspricht Unterhaltung. Im wilden Durcheinander öffnen die Touchierten ein weites Feld von Projektionen in Richtung des Toten.
02 Mord
Der Mörder und sein Ich machen sich auf ihren Weg zum Opfer. Der Tote und sein Schatten erinnern sich an diesen Tag. Der Tote sieht sich beim Sterben zu und wähnt sich als Walfisch.
03 Gedenkfeier
Der Ansager verspricht Gehaltvolleres. Die Touchierten geraten sich in die Haare. Einige zerren den Drogenhändler als Täter ins Licht. Der Tote nimmt Stellung. Das Kind sieht ihn. Die Touchierten veranstalten eine Hetzjagd.
04 Voraussage
Der Ansager fragt nach dem Mitgefühl und kündigt den gemütlichen Teil des Abends an.
Akt II. Das Bachbett
05 Prozess
Ein Richter schliesst die Touchierten vom Verfahren aus. Die Kindheit des Mörders offenbart eine Irrfahrt. Das Ich des Mörders eifert in Schlachtfantasien gegen die Ungläubigen, ist Gott und ergiesst sich in brachialen Worten. Der Richter hält dagegen mit der nüchternen Schilderung des Tathergangs durchdrücken. Der Tote beobachtet ungesehen das Geschehen. Das Ich des Mörders zelebriert das Verspeisen der göttlichen Schriftrolle. Der Richter ordnet die Mittagspause an.
06 Urteil
Der Richter qualifiziert die Tat als Mord. Die Touchierten rufen dazwischen. Die Verhandlung fällt aus dem Rahmen. Das Urteil, Freispruch, schuldunfähig. Die Touchierten verstummen. Der Richter verabschiedet sich vom Mörder und das Kind fragt, ob der Tote jetzt keine Angst mehr haben muss.
07 Rache
Der Tote und sein Schatten blicken zurück in ihr Leben. Währenddessen löst der Tote ein Kreuzworträtsel. Die Kindheit, Idylle und Gewalt in den Bergen, die Flucht zur Mutter in die Stadt, ihr Unfalltod. Der Tote besäuft sich, landet vor Gericht. Der Richter mischt sich ein. Der Tote und sein Schatten bringen ihn um, lassen ihn sterben an einem Herzinfarkt.
Der Tote erzählt von seiner grossen Liebe. Ihr Vater will ihn als Schwiegersohn ins Geschäft holen. Seine Tochter will nur weg auf eine grosse Reise. Sie ringt nach Wörtern den väterlichen Missbrauch zu vermitteln. Als der Tote seiner Liebe einen Heiratsantrag macht, wird diese am nächsten Tag erhängt aufgefunden. Die Vagantin mischt sich ein. Der Tote und sein Schatten bringen sie um. Überdosis, goldener Schuss. Der Tote ist 35 Jahre alt, als er sich auf seine Reise macht, gegen Osten.
Er erleidet auf einer Insel einen Herzinfarkt und wird liebevoll gepflegt. Als ihn die Frau fragt, ob er nicht bei ihr bleiben will, stürzt er sich grausam in den Alkohol. Er torkelt weg, nach Hause seine Verlobte ins alte Grab legen. Hier verbindet ihn sein Fernweh mit dem Heimweh des Ausländers. Diesen lassen der Tote und sein Schatten daran sterben.
Der Journalist taucht auf. Er führt ein sachliches Interview mit dem Toten. Der findet es schade, dass ihn der Journalist zu Lebzeiten nicht fotografiert hat. Sie lassen ihn ertrinken, beim Versuch einen Ertrinkenden zu retten.
Schliesslich bringt das Kind dem Toten etwas zu essen. Dieser lehnt ab. Der Schatten des Toten will das Kind gleich jetzt beseitigen. Der Tote verwirrt, verzweifelnd. Wütend jagt er das Kind weg.
Akt III. Die Wolken
08 Gotteslust
Der Tote und sein Schatten begegnen dem Mörder und seinem Ich. Der Mörder schildert seinen Alltag am Ort des gleichmässigen Lichtes. Das Ich des Mörders, ergiesst sich in die Welt seines Gottes. Zu diesem der Tote mit Überzeugung Nein gesagt hat. Das erste Mal in seinem Leben klar Position bezogen und das mit der Konsequenz seines Todes. Er solle ihn einfach umbringen den Mörder, fordert der Schatten. Der Tote schafft das nicht.
09 Tod
Der Ansager spielt zwischen Fantasie und Wahrheit. Dafür erschiesst ihn der Tote. Sein Schatten zollt ihm Respekt für diesen sauberen Kopfschuss. Beide verabschieden sich von einander freundlich. Der Tote weiss es geht ans Sterben, er schaut auf seinen Körper. Da kommt ihn das Kind holen. Woher es in kenne, will er wissen. Sie sei seine Schwester. Sie fragt ihn, ob er mit komme seine Asche ausstreuen auf dem Fluss. Gerne.